Der kleine Bund, 17 de enero de 2004
Por Geri Krebs
Vor Monatsfrist fand in Havanna die 25. Ausgabe des Festival des lateinamerikanischen Films statt. Das Grossereignis ist stets auch ein Gradmesser für die kulturpolitische Situation in Fidel Castros staat. Ein Lagebericht mit Aussagen von prominenten Schrifstellerns und Filmregisseuren.
Für die kubanische Regierung fund ihr Image im Ausland war der Kinostart von Fernando Pérez’ ‘Suite Habana’ im vergangenen Juni ein Geschenk des Himmels. Nach der Repressionswelle vom März und April brauchte man unbedingt etwas’ das ein offenes und tolerantes Kuba repräsentierte.» Amir Valle’ Jahrgang 1967′ derzeit einer der gefragtesten Schriftsteller der Insel’ ist jemand’ der seine Bücher sowohl innerhalb Kubas wie auch im Ausland publizieren kann; gleichzeitig gehört er zu jenen Intellektuellen’ die ihre Meinung zum geistigen Klima in Fidel Castros Reich weder zurückhalten noch vernebeln.
«Keinem anderen Cineasten in Kuba hätte man es gestattet’ einen Film mit einer so bitteren Botschaft zur Situation in Kuba zu machen»’ sagt Amir Valle und fährt fort: «Fernando Pérez ist Kubas international anerkanntester Filmregisseur’ und er nutzt diese Stellung geschickt’ um auszudrücken’ was viele Leute hier und heute empfinden: Der Kampf geht nur noch ums Überleben des Einzeinen’ es gibt derzeit keine Hoffnung mehr für die Bewahrung sozialistischer Werte in Kuba’ es bleiben einzig noch die individuellen Träume’ die die Menschen überhaupt diese Gegenwart noch aushalten lassen.»
«Schon fast ein heroischer Akt»
Amir Valle stösst sich daran’ wie das offizielle Kubaversuche’ «Suite Habana» für sich zu vereinnahmen und sich mithin bemühe’ aus Fernando Pérez einen Regierungssprecher zu machen’ verstärkt noch nach dem Filmfestival’ wo «Suite Habana» den Hauptpreis und zahlreiche weitere Auszeichnungen gewann. Für kubanische Verhältnisse tönen Valles Worte radikal’ und er äussert sich so nicht nur im privaten Gespräch’ sondern auch gegenüber der internationalen Presse. Etwa im vergangenen Juli im spanischen Gijon’ wo er am Rande der «Semana Negra»’ einem Literaturfestival von Krimiautoren’ kein Blatt vor den Mund nahm und daraufhin prompt Drohungen erhielt’ man werde ihn nicht mehr nach Kuba zurückkehren lassen. Die Drohungen blieben zwar vorerst ohne Wirkung’ Amir Valle sitzt in sei nerWohnung im Herzen von Centro Habana. Er erzähit’ wie es kürzlich umgekehrt gelaufen sei: Man habe ihn nicht zu einem Literaturworkshop in Spanien ausreisen lassen und ihm hinterher erst noch weismachen wollen’ es habe sich um dasVersehen eines Beamten im zuständigen Ministerium gehandelt.
Die Methoden’ mit denen die kubanische Bürokratie unbotmässige Kulturschaffende schikaniert’ sind vielfältig; davon kann auch Kubas Bestsellerautor Pedro Juan Gutiérrez («Schmutzige HavannaTrilogie»’ «Der König von Havanna») ein Lied singen. Der 53Jährige wohnt nur ein paar Häuser von Amir Valle entfernt und gehört zu dessen engsten Freunden; er spricht voller Bewunderung vom Schriftstellerkollegen und dessen Mut. Gutiérrez erwähnt einen Poesiewettbewerb’ der im November unter dem Schutz der katholischen Kirche in der Stadt Pinar del Rio stattgefunden habe. Dort sei Amir Valle Mitglied der Jury gewesen und habe bei dieser Gelegenheit von seinem Freund Raúl Rivero berichtet.
Der Schriftsteller und Journalist Raúl Rivero sitzt seit Márz 2003 im Gefängnis. Erwurde’ wie 74 andere Oppositionelle’ in einem Schnellverfahren wegen «Konspiration» und «Gefährdung der nationalen Sicherheit» zu 20 Jahren Haft verurteilt. «In Kuba heute öffentlich den Ñamen Raúl Rivero nicht nur zu erwähnen’ sondern ihn auch noch ais Freund zu bezeichnen’ das ist schon fast ein heroischer Akt»’ meint Gutiérrez und gibt unumwunden zu’ dass er dieser Hinsichtvorsichtiger sei.
Seit Gutiérrez 1998 die «Schmutzige HavannaTrilogie» bei einem spanischen Verlag publizierte’ ist er zum Bestsellerautor geworden. Der Roman wurde seither in über ein Dutzend Sprachen übersetzt’ und demnächst wird sein dritter Roman («Animal tropical») in deutscher Übersetzung erscheinen. Doch der Erfolg im Ausland hat in Kuba auch seinen Preis’ denn nach dem Erscheinen von «Schmutzige HavannaTrilogie» verlor Gutiérrez seine Arbeit als Journalist’ und man drohte ihm auch den Ausschluss aus dem Schriftstellerverband Uneac an. Letzteres geschah dann zwar nicht’ doch bis heute sucht man due Bücher von Gutiérrez in kubanischen Buchhandlungen vergeblich.
In mancher Hinsicht ist die niederschmetternde Vision’ die Gutiérrez in seinen Romanen vom Leben in Havanna vermittelt’ jener nicht unähnlich’ die Fernando Pérez visuell in «Suite Habana» umgesetzt hat’ wobei er einen der schönsten Filme des kubanischen Kinos geschaffen hat. Auch wenn beide Persönlichkeiten grundverschieden sind Pérez mehr der stille Poet’ Gutiérrez mehr der laute Provokateur: In ihrer geradezu obsessiven Liebe zu Havanna und dem Leben in dieser extremen Stadt sind sie sich ähnlich.
«Förderung junger Talente»
Genau wie Fernando Pérez erklärt auch Pedro Juan Gutiérrez unumwunden’ dass er nur in Havanna leben könne. Und was meint Fernando Pérez zu den Einschätzungen seiner Kollegen aus dem Literaturbetrieb über seine Person? Es stimme zwar’ dass er vielleicht als bekannter Filmemacher einen Freiraum habe’ für den andere noch kämpfen müssten’ er sei aber beileibe nicht Kubas einziger Cineast’ der eine derartige Sicht der Dinge öffentlich mache. «Der Umstand’ dass ich so bekannt bin’ gibt mir wohl etwas mehr Möglichkeiten im Bereich der Finanzierung duren ausländische Koproduzenten’ doch hier spielt die Diktatur des Marktes mit’ und die ist noch viel stärker als die Zensur in Kuba.»
Andererseits bekräftigt Fernando Pérez aber auch’ dass man immer wieder versucht habe’ aus ihm einen Regierungssprecher zu machen. «Doch ich lasse mich von niemandem vereinnahmen’ das habe ich auch der Chefredaktorin von Juventud Rebelde’ (neben ‘Granma’ die einzigen Tageszeitung und Organ des Jugendverbandes der kubanischen Staatspartei’ Anm. G. K.) gesagt’ als sie im vergangenen September extra zur Europa premiere von ‘Suite Habana’ ans Filmfestival von San Sebastián kam und hinterher in der Zeitung Dinge zusammenphantasierte’ die ich so nie gesagt hatte.» Eine wichtige Aufgabe sieht Fernando Pérez in der Förderung und Weiterbildung junger Talente. Ein Ergebnis dieser Bemühungen konnte man am diesjährigen Filmfestival sehen: ein ambitioniertes’ von Pérez betreutes Projekt dreier halblanger Spielfilme von Nachwuchsregisseuren unter dem gemeinsamen Titel «Tres veces dos».
«Fünf gefangene Helden»
Die drei sehr unterschiedlich gestalteten Filme kreisen um Themen wie Einsamkeit’ Altern’ Emigration oder Zerfall der Stadt Havanna. Es war zwar ein anderes Kino’ ais man es sonst aus Kuba kennt’ doch es zeigte auch klar seine Schwächen:
Mitviel hektischen Schnitten’ einer wenig durchdachten Montage sowie viel blubbernden Technoklängen wird hier in inhaitlich heiklen Momenten immer wieder mal zum Nebelwerfer gegriffen’ um sich nicht zu sehr zu exponieren.
Solches muss allerdings im gegenwärtig herrschenden Klima auf Fidel Castros Insel keineswegs verwundern. Der Propagandaspot’ der am diesjährigen Filmfestival vor jeden projizierten Film gehängt wurde’ spricht hier Bände’ er sprengte selbst für kubanische Verhältnisse alles bisher Dagewesene der vergangenen 24 Festivaljahre.
In grossen Lettern wurde die Freilassung der «fünf gefangenen Helden» gefördert einer Gruppe von Angehörigen der kubanischen Staatssicherheit’ die sich in exilkubanische Organisationen in den USA infiltriert hatten und nach ihrer Enttarnung dort 2001 zu drakonischen Haftstrafen verurteilt wurden. An welchem internationalen Filmfestival von Rangwäre eine derart grobschiächtige Regime propaganda sonst noch möglich?